Oriole

(Oriolus oriolus)



Lektionen zur Natur und zur Musik mit Herrn Eulberg oder „Die Erde – Ameisenhügel im Weltall“

Da ist es wieder, der erhobene Zeigefinger und das schelmische Lächeln des Dominik Eulberg. Seine nächste Lektion in Sachen Natur. Kaum ein DJ oder Produzent ist so Image-behaftet wie der sympathische Westerwälder, der sich gerne als Naturforscher und –liebhaber präsentiert. Aus tiefstem Herzen natürlich, denn das schlägt nicht nur für Musik, sondern vor allem für die Natur. Später, irgendwann nach seiner Musik-Karriere, möchte er Nationalpark-Ranger werden. Einen Weg, den er schon vor seinem musikalischen Erfolgen eingeschlagen hat, der aber zur Zeit ruht, weil jetzt der 4/4 Takt sein Leben bestimmt.

Nach den „Heimischen Gefilden“, die er uns erst Anfang des Jahres vorstellte, präsentiert er uns nun „Bionik“, das neue Album, welches bei Cocoon erscheint. „Da schließt sich ein Kreis“, erzählte er mir im Interview. Ein Gespräch kurz vor seinem Spiekeroog-Urlaub zwischen Studio und Waldspaziergang im heimatlichen Westerwald. Thematisch zwischen Astronomie, Musik, dem Menschen in der Natur, Ameisen im Weltall und einem geschlossenen Kreis

Im Niemandsland

Auf dem Weg zu Dominik Eulbergs Studio. Die A 3 zwischen dem Kölner und dem Frankfurter Ballungsraum dient einzig zur schnellen Überbrückung der Distanz eben dieser beiden Räume. Vorbei an Wald und Wiesen, am berühmt-berüchtigten Elzer Berg und an sanften Hügellandschaften. Je nach Verkehrslage in Nullkommanichts oder von der einen in die anderen Stauzone. Doch spätestens seit es die neue ICE-Bahntrasse zwischen den beiden Städten gibt, wissen wir, dass es noch etwas geben muss zwischen den beiden Räumen. Der Zug hält in Montabaur (Rheinland-Pfalz) und in Limburg (Hessen). Jedes Mal wenn ich diese Strecke fahre wundere ich über diese Stopps in der Provinz, weil das Passagieraufkommen an den beiden Bahnhöfen gegen null tendiert. Aber so ist das im föderalistischen Deutschland, wenn man eine neue Strecke baut, die mehrere Bundesländer durchquert, muss man eine Art Wegezoll zahlen: Einen ICE-Bahnhoft.

Das wirklich Absurde dabei ist, dass die beiden Bahnhöfe gerade mal 25km voneinander entfernt sind. Zurück zur Autobahn. Ich verlasse sie erstmals weit vor Frankfurt, bei Montabaur, und fahre noch ein paar Kilometer über Landstraßen zu Dominiks Studio. Ziemlich schnell lässt man die Hektik der Autobahn mit dem anliegenden Industriegebiet hinter sich. Es geht über die Dörfer und recht schnell komme ich an. Unscheinbar an einer Stichstraße in die Felder liegt das Haus am Rande der Besiedlung. Hierhin zieht er sich also zurück, der Meister der Club-Beats. Ein Studio mit Schlafplatz und viel Natur drumherum

Im Studio

raveline: Woher kommt dein Interesse an Rotbauchunken, Feldgrillen, Adlern, Trottellummen etc.

Eulberg: Ich bin ohne Fernseher und ohne Technik aufgewachsen. Mein Vater war im Naturschutz sehr aktiv und hat mir Fauna und Flora gezeigt. So konnte ich schon mit acht Jahren sämtliche heimische Schmetterlinge und Vögel bestimmen. Ich habe mich auch nicht für Musik interessiert und auch keine Platten gekauft

raveline: Wie und wann bist du dann zur Musik gekommen?

Eulberg: Es war 1993, ich hörte zufällig im Radio die hr 3 Club Night mit Sven Väth. Das war total neu und faszinierend für mich. Der totale Kontrast. Ich konnte mir das nicht erklären, wie das funktionierte. So wurde mein Forschergeist aktiviert, und irgendwann kaufte ich mir meine ersten Synthesizer.

raveline: Und wie haben deine Eltern reagiert?

Eulberg: Mein Vater war entsetzt. Der dachte, dass alle, die solche Musik hören auch Drogen nehmen. Er konnte das gar nicht nachvollziehen, unser Kontakt hat sehr darunter gelitten. Meine Mutter war da schon offener und loyaler.

raveline: Und heutzutage?

Eulberg: „... versteht er es ein bisschen, weil er auch sieht, dass man damit Geld verdienen kann.“

So startet also die Karriere mit Sven Väths Musik und der Kreis schließt sich mit dem erscheinen von „Bionik auf Väths Cocoon-Label, es klingt fast schon zu kitschig. Mit seinem analogen Equipment betreibt Dominik Klangforschung, bastelt seine ersten Tracks und übt sich im Auflegen. Dennoch bleibt die Verbundenheit zur Natur seine oberste Leidenschaft und er zieht nach dem Abi nach Bonn, um dort Ökum (Ökologie und Umwelt) zu studieren. Nebenher legte er in einer Bar und einem Club auf, um das Studium zu finanzieren.

raveline: Warum Bonn?

Eulberg: Den Studiengang gibt's nur dort und außerdem ist die Größe der Stadt genau richtig für mich hat Bonn was ruhiges entspanntes. Ich wohne immer noch dort. Einmal die Woche fahre ich nach Köln zum Plattenkaufen, aber wohnen möchte ich da nicht. Du gehst einkaufen und immer läuft man jemanden über den Weg. Ich möchte mich einfach nicht vereinnahmen lassen, ich mache das was mir gut tut. Ich bin ein Mensch der Ruhe und Abgeschiedenheit. Deshalb auch mein Studio hier im Westerwald.

raveline: Und wie verträgt sich das Reisen von Gig zu Gig rund um den Globus damit?

Eulberg: Mir macht es Spaß die Welt zu sehen und Länder zu bereisen, ich versuche immer vor Ort so viel wie möglich mitzunehmen. In letzter Zeit war ich wahnsinnig viel unterwegs, dreimal die Woche. Ich bin jetzt an einen Punkt gekommen, wo mir das widerstrebt. Nur noch zweimal Auflegen und auch mal ein freies Wochenende. Ich freue mich jetzt auf meinen Urlaub auf Spiekeroog.

raveline: Nicht das klassische Ziel für einen Typen in deinem Alter...

Eulberg: Das ist war. Vor vier Jahren war ich auf der Nachbarinsel Wangerooge und habe im dortigen Nationalpark gearbeitet. Eine touristisch sehr erschlossene Insel. Spiekeroog hingegen ist viel ruhiger. Dort gibt es keine Autos, ja nichtmals Fahrräder sind erlaubt. Nach der letzten Eiszeit sind diese Inseln entstanden, als Sandbänke. Nach und nach kam die Vegetation, vor allem Strandhafer, der mit seinem Wurzelwerk den Sand zusammenhält. An einem freien Tag habe ich mir dann das ruhige Eiland angeschaut und war begeistert. Meer und Vögel, mehr nicht. Keine Verlockung abends, um 22 Uhr ist alles zu. Seit dem fahre ich immer wieder hierhin. Gerade weil ich so viel in der Welt herumreise, ist es schön Urlaub im eigenen Land zu machen. Das ist mir durch die Arbeit im Nationalpark und durch mein Studium bewusst geworden

raveline: Wie sieht es aus mit deinem Studium?

Eulberg: Beides kann man nicht ernsthaft machen und da es mit der Musik gerade sehr gut läuft, habe ich mir eine Auszeit von der Uni genommen. Ich möchte es auf jeden Fall abschließen und dann in einem Nationalpark arbeiten. Aber momentan genieße ich das sehr: Platten produzieren und verkaufen, nette Leute kennen lernen, die Auftritte, austoben. Auf Dauer wird mich das aber nicht befriedigen. So lange eben wie es Spaß macht. Musik werde ich bestimmt immer machen, aber das exzessive Auflegen und Reisen geht nicht ewig.

raveline: Wo ist denn der Schnittpunkt dieser beiden Welten bei dir? Wie kamst du dazu die Verbindung herzustellen?

Eulberg: Die Natur ist meine wichtigste Inspirationsquelle. Wenn man ein paar Stunden wandert, dann löst man sich vom Zivilisationssumpf. Man kommt wieder an, ich spüre dann spezielle Emotionen Gefühle. Wir kommen schließlich aus der Natur, vor ein paar Tausend Jahren sind wir noch in Bäumen herumgeklettert. Wir sollten uns das alles bewusster machen. Wir brauchen die Natur, sie aber nicht uns. Selbst wenn wir alle Atombomben zünden würden, wir werden niemals alles auslöschen können, das Leben wird sich immer seinen Weg Bahnen. Als vor 65 Millionen Jahren ein Meteorit in den Golf von Mexiko einschlug (mit der Kraft von fünf Milliarden Hiroshima-Bomben) endete das Zeitalter der Dinosaurier. Jahrzehnte lang war es Dunkel, doch selbst das hat die Natur nicht beeindruckt.

Im Weltall

Eulberg: Ich finde es hochinteressant sich mit solchen Themen zu beschäftigen. Dazu gehört auch die Astronomie. Das Weltall ist gerade mal 50km über uns. Es ist so nah. Viele Menschen sind sich dessen gar nicht bewusst. Es gibt eine Theorie, wonach es mehr Sonnen gibt als Sandkörner auf der Erde. So winzig klein sind wir und dennoch meinen wir es dreht sich alles um uns, um Kriege und Konflikte zwischen Ländern. Der Blick von oben ist wichtig. Man sieht einen Planeten und keine Länder. Und wir sind bestimmt nicht allein, wenn man bedenkt wie viel Milliarden Galaxien es noch gibt. Warum die noch nicht hier sind? Wahrscheinlich sind wir zu unbedeutend. Wir reden ja auch nicht mit den Ameisen im Wald.

Stimmt. Wir machen evt. Zäune drum herum, damit keiner darauf herumtrampelt. Man stelle sich das vor: die Erde, ein Ameisenhügel im Weltall...

„Hast du Lust spazieren zu gehen?

In der Holzbachschlucht. Wir steigen ins Auto und fahren einen Ort, den Dominik oft besucht. Die Holzbachschlucht, einige Autominuten von seinem Studio entfernt, in der Nähe seiner Heimatstadt Westerburg. Ein beliebtes Ausflugsziel, dass am Wochenende stark frequentiert wird. Wir haben Glück, das Wetter an diesem Freitag – ein grauer Himmel kurz vorm Abregnen- hält viele Spaziergänger, wir sind fast allein unterwegs. Über eine alte Steinbrücke geht es in den Wald, der Bachlauf schlängelt sich durch die Schlucht, es kommt wenig Licht durch das dichte Laubwerk der überwiegenden Rotbuchen. Mein persönlicher Park-Ranger zeigt mir Holunderbeer-Sträuche, einen Blauen Erlenblattkäfer oder hält mich an den Vögeln zu lauschen. Das ist sein Element, sein Revier. Wir sprechen über seinen Karrierestart als Produzent:

„Ich selbst habe nie eine Demo-CD weggeschickt. Ich hatte panische Angst in diese Maschinerie hinein zu geraten, dass man nicht Herr seiner selbst ist. Auch heute halte ich mich noch in vielen Situationen raus, wenn z.B. auf dem Sonar-Festival, der große Austausch untereinander gefragt ist. Eine Freundin hat dem Mathias Schaffhäuser (Ware) mal eine CD gegeben und der hat sie direkt veröffentlicht. Und ein Kumpel von der Uni kannte den Riley von Traum Schallplatten. Der war restlos begeistert und so begann ich dort regelmäßig Platten zu veröffentlichen. Die lassen mir viele Freiheiten, ich kann da entspannt arbeiten und werde gut beraten. Ich fand es immer schon schwierig meine eigene Musik zu beurteilen. Ich habe sie grundsätzlich für mich gemacht, das mache ich immer noch. Wenn sie anderen gefällt, umso besser. Ich bin da sehr unverkrampft. Wahrscheinlich auch, weil ich mit meinem Studium ein zweites Standbein habe und dorthin jederzeitzurückkehren kann."

raveline: Ist die Zusammenarbeit mit Cocoon anders, schwieriger?

Eulberg: Nein, auch sehr entspannt. Auch hier habe ich die Fäden in der Hand, ich bin ein Kontrollfreak, ich mache meine Cover selbst, auch bei Cocoon.

Aber schon schwenkt er wieder um: „Ich bin regelmäßig im Westerwald, um Vögel zu beobachten. Hier ist noch alles intakt. Es gibt ein paar kleine Seen, wo ich hingehe. Gerade im Herbst, wenn die Zugvögel aus Skandinavien kommen ist das sehr interessant. Ich mache die Vogelbeobachtungen regelmäßig. Ich bin dann sehr glücklich und erfüllt. Es gibt auch ein Jahrbuch, wo auch ich meine Observationen veröffentliche. Und es gibt viele Leute, die mir regelmäßig Mails mit Tierfotos schicken, um ihre Beobachtungen zu präsentieren oder um zu fragen, was das z.B. für ein Vogel ist. Das sind Momente, wo ich merke, dass ich es richtig mache, es gibt eine Resonanz. Und dann gibt es Leute die mich Fragen warum ich Techno höre (und spiele), wo ich doch so naturverbunden bin. Das klingt für viele paradox. Aber die Verbindung ist fest verwurzelt. Im Mutterleib hören wir als ungeborenes Kind permanent den Herzschlag, im 4/4 Takt. Viele Naturvölker trommeln in diesem Takt, befördern sich damit in
Trance. Und so ähnlich ist das mit Techno, es ist etwas Ursprüngliches.

Das neue Album: „Bionik“

Der Begriff „Bionik“ setzt sich aus den Wörtern „Biologie“ und „Technik“ zusammen. Hier lernt der Mensch von der Natur, in dem er sich bestimmte Prozesse und Fähigkeiten von Tieren und Pflanzen „abschaut“ und kopiert, um sie z.B. in technischen Geräten einzubauen. Die Effizienz ist dabei der entscheidende Punkt, denn viele Aufgaben, die wir technisch lösen wollen oder müssen, hat die Natur schon längst erfunden, oft viel einfacher und wirksamer. Die Bionik ist ein ziemlich junger Wissenschaftlicher Zweig und birgt noch viel Potential. Eulberg geht mit diesem Album seinen Naturlehrpfad weiter, zeigt uns konkret wo wir von der Natur gelernt haben. Das Album erscheint im Look eines alten Lexikons. Jeder Trackname nimmt Bezug auf eine Fähigkeit aus der Natur, die der Mensch sich angeeignet hat. Dazu gibt es einen kurzen Text, der dieses Phänomen erklärt, hier zwei Beispiele:

„Autopfoten"

Ingenieure entwickeln Autoreifen nach dem Vorbild von Katzenpfoten. Beim Geradeaus-Rennen werden Katzen durch ihre schmalen Pfoten extrem schnell. Bremsen oder springen sie, verbreitern sich ihre Fußballen. Dadurch erzeugen sie mehr Bodenhaftung, können abrupt abstoppen oder plötzlich die Richtung wechseln. Bestes Beispiel für solche Manöver ist der Leopard. Autoreifen mit dem Profil von Leopardenpfoten haben einen 10% kürzeren Bremsweg und fahren auf nassen Fahrbahnen sicherer als herkömmliche Modelle.

“Lotuseffekt”

Die Heilige Lotusblume gilt in den asiatischen Religionen als Symbol der Reinheit: Makellos sauber entfalten sich die Blätter aus dem Schlamm der Gewässer. Auf Grund einer speziell unebenen Oberflächenstruktur reinigen sich die Blätter selbst. Jegliche Art von Schmutzpartikel wird vom nächsten Regen rückstandslos weggespült, sogar Klebstoff. Durch das künstliche Nachbilden dieser Oberflächenstruktur gibt es beispielsweise selbstreinigende Dachziegel, Fassadenfarben, Waschbecken oder gar Autolacke.

Am Himmel

Wie ihr seht, es ist unmöglich Dominik Eulberg ohne seine nichtmusikalische Leidenschaft zu präsentieren und vielleicht wünscht sich so manch einer den Naturprediger in den Sumpf, wo sich seine ganzen Getiere aufhalten. Aber das sind Ausnahmen. Der 28-jährige ist ein echter Sympathieträger. Dem erhobenen Zeigefinger vom „Heimischen Gefilden“-Cover schenken wir gerne Beachtung und lassen uns bereitwillig belehren. „Macht die Augen auf“ ruft er uns zu. Recht hat er, es gibt viel zu entdecken. Im Garten, im Wald und natürlich im Plattenladen unter „E“. Die Bionik-Texte hat er selber geschrieben und für eine Westerwälder Zeitung hat er bereits einen Artikel über Naturschutz geschrieben. Er kann sich durchaus vorstellen ein Buch zu schreiben. Darauf freue ich mich jetzt schon. Es war ein sehr schöner Nachmittag. Ein sehr interessanter Gesprächspartner, der unser Bewusstsein für Umwelt und Natur schärfen will und damit viel mehr zu bieten hat als nur seine Musik. Die ist auch vielleicht etwas zu kurz gekommen. Aber solche Gespräche entwickeln sich einfach und dann kann man schlecht dagegen steuern oder man will es nicht. Immerhin kenne ich nun jemanden, der den ICE-Bahnhof Montabaur benutzt. Das beruhigt mich. Ich war übrigens ein Woche nach dem Interview auch im Urlaub, in Innsbruck. Dort bin ich mit meiner Freundin über die Berge gewandert. Das hätte wir natürlich auch unabhängig von diesem Interview gemacht, aber immer wenn ich am Himmel einen Greifvogel gesehen habe, hörte ich Dominiks Stimme im Ohr: „Das ist ein Steinadler...“.