Oriole

(Oriolus oriolus)



Dominik Eulberg – Naturschutz als positive Lebensphilosophie

hier das komplette Interview

VERÖFFENTLICHT AM 28. MAI 2021 VON TASSILO DICKE

So schmerzhaft seit mehr als einem Jahr die Abwesenheit von Gigs für Dominik Eulberg – wie natürlich auch für alle anderen DJs – ist, so bereichernd ist dieser Notzustand für ihn in Bezug auf seine große Leidenschaft Natur und deren Schutz. Schon vor Pandemie-Zeiten hat der Westerwälder abseits klassischer DJ- und Producer-Pfade sich diesen Tätigkeiten gewidmet, hat Vorträge gehalten, ein Vogelquartett entwickelt, Fledermausexkursionen angeboten, ist Fledermausbotschafter des NABU oder komponiert Soundtracks für Naturdokus – aber nun mit neugewonnener Zeit konnte er endlich ein Herzensprojekt umsetzen: sein erstes Buch, „Mikroorgasmen überall“.

Herzlichen Glückwunsch zur Buchpremiere, wie fühlt es sich an und wie kam es zu dem Buch?

Ich fühle mich erleichtert, weil ich das Vorhaben, ein Buch zu schreiben, schon seit zehn Jahren mit mir trage. Als studierter Ökologe bin ich ja auch noch in Forschungs- und Monitoring-Projekten für Naturschutzorganisationen und als Naturschutzwart vor Ort aktiv. Ich habe dabei immer wieder festgestellt, dass ich zwischen den Welten gut hin- und herswitchen kann. Als Künstler muss man ja Emotionen antizipieren können und beobachten, wie die Leute darauf reagieren, und das ist etwas, was manchen Wissenschaftler*innen manchmal etwas schwer fällt, weil sie sehr in ihrer Rationalität gefangen sind und ein Inselwissen haben, was nicht der Allgemeinheit nutzt.

Ich habe gelernt, wissenschaftlich zu arbeiten, laufe aber nicht den ganzen Tag mit weißem Kittel im Labor herum, aber bin auch nicht der klassische Künstler, der nichts anderes als Kunst macht. Und daher habe ich die Notwendigkeit gespürt, diese beiden Welten zu verknüpfen, Brücken zu schlagen.

Und was genau möchtest du mit diesem Buch bewirken?

Wir leben in einem bemerkenswerten Zeitalter: Probleme wie die Klimakatastrophe, Artensterben oder Plastikmüll kennen wir und diese sind auch wunderbar erforscht – Lösungen liegen in der Schublade – aber dennoch ändert sich nichts und wir rennen weiter sehenden Auges auf den Abgrund zu, drohen, als Homo suicidalis zu enden. Da ist die Ambivalenz, dass der Mensch sich als die Krone der Schöpfung, als das intelligenteste Wesen der Erde ansieht, aber das einzige Lebewesen ist, das sich gerade bewusst selbst die Lebensgrundlage entzieht. Und dann fragt man sich: Warum ist das so? Es werden sich nur dann Dinge ändern, wenn sie entweder wehtun (Stichwort Fukushima und Atomausstieg) oder wenn Dinge mehrheitsfähig sind. Wir leben in einem populistischen System, in dem Parteien oft nur das programmatisch machen, womit sie wiedergewählt werden. Wir brauchen für den dringend notwendigen sozio-ökologischen Transformationsprozess eine Mehrheit, sonst wird sich also nichts ändern. Deswegen ist es so wichtig, möglichst viele Menschen zu sensibilisieren, da wir nur schützen, was wir auch schätzen. Viele Mitstreiter*innen machen das sehr alarmistisch, aber das Problem dabei ist, dass viele Leute dann abschalten und aufhören zu kämpfen. Deswegen bin ich ein Freund davon, die Schönheit und die Raffinesse der Natur als positive Lebensphilosophie zu nutzen. Wir sind alle ein Teil des Wunders Natur, und ich möchte mit dem Buch auf spielerische Weise klarmachen, dass sie unsere Überlebensversicherung ist, die Mutter, die uns nährt. Durch meine jahrelange Tätigkeit als Technokünstler kann ich als Vektor vielleicht Personengruppen erreichen, die sonst eher nicht zu einem Naturbuch greifen würden.

Was erwartet die Leser*innen inhaltlich?

Ich habe erst einmal eine längere Einleitung geschrieben, in der ich erkläre, was für mich überhaupt Naturschutz bedeutet. Naturschutz ist ja nichts anderes als der Versuch, eine Konvention zu finden, wie die Welt aussehen soll, in der wir leben möchten. Den einen Konsens werden wir wohl nie finden. In den einzelnen Kapiteln beschäftige ich mich mit heimischen Tieren, Pflanzen oder Pilzen, die etwas in uns zum Schwingen bringen, bei denen man denkt „Wow, ist das abgefahren.“ Ich möchte die Raffinesse, die Vielfalt und die Schönheit der Natur herausstreichen und dadurch ein kindliches Staunen reaktivieren. So legt der Schwarze Kiefernprachtkäfer seine Eier in teilweise noch glimmendes Totholz von Waldbränden, weil es dort wenig Fressfeinde gibt und die Hitze wie in einem Brutkasten für ein extrem schnelles Wachstum der Larven sorgt. Die Käfer haben hochsensible eingebaute Infrarotsensoren, mit denen sie Feuerstrahlung noch aus 80 Kilometern Entfernung detektieren können. Nach solchen faszinierenden Wunderfakten habe ich gesucht und nach ganz neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die man noch kaum in Büchern lesen kann, da ich ja auch im regen Austausch mit Wissenschaftler*innen bin. Ich habe es bewusst so geschrieben, dass die Kapitel keinem roten Faden folgen, damit man wie ein Betthupferl ein Kapitel vor dem Einschlafen lesen und wirken lassen kann. Es soll wie ein Wald- oder Naturspaziergang sein. Man weiß nie, was einen nach der nächsten Wegbiegung erwartet, und deshalb ist das Buch wie eine Wundertüte auch so bunt gemischt.

Wie wurde im Titel aus Mikroorganismen Mikroorgasmen?

Es geht um Wunder vor der eigenen Haustür und es geht darum, dass Natur der einfachste, kostengünstigste und gesündeste Schlüssel zum Glück ist. Man braucht nicht viel, nur etwas Grundwissen und vielleicht noch eine Lupe und ein Fernglas, um den Erfahrungshorizont zu erweitern, und schon geht‘s ab ins bunte Abenteuerland. Und schon direkt vor der Haustür – auch im ganz Kleinen, etwa in einer Handvoll Erde – kann man das Wunder des Lebens erfahren, wenn man seine Sinne darauf richtet. Die tiefe und wahrhaftige Freude, das Verbundensein mit der Natur und dem Hier und Jetzt, die ich etwa beim Anblick des irisierenden Blaus eines vorbeiziehenden Eisvogels, dem herrlich flötenden Gesang eines Pirols oder aber der Biolumineszenz von Leuchtkäfern empfinde, kann ich nicht anders als kleine Orgasmen der Freude über diese Meisterwerke der großartigen Künstlerin Natur beschreiben. Zudem hat Natur keine Lobby. Naturschutz braucht also den offenen, breiten Dialog. Ein Buchtitel, bei dem man zweimal hinschauen muss, ob man sich jetzt verlesen hat, darf auch zu solchen Dialogen hinführen und Gedankengänge anregen.

Nach dem Buch ist vor dem nächsten Projekt. Auf was können wir uns als Nächstes aus dem Hause Eulberg freuen?

Im Juni soll Jan Hafts neuer Kinofilm rauskommen, der „Heimat Natur“ heißen wird, für den ich die Musik geschrieben habe. Benno Fürmann hat die Texte eingesprochen, das passt super. Es wird in dem Film von den Alpen bis zum Wattenmeer ein Querschnitt aller Biotop-Typen in Deutschland vorgestellt – wer oder was lebt da, was bedroht sie, was sind die Auswirkungen der Bedrohung und was sind die Wirkmächtigkeiten jeder/jedes Einzelnen, um etwas zu verändern. Dann mache ich gerade ein Insektenquartett, ähnlich zu dem Vogelquartett, das hoffentlich dieses Jahr noch auf den Markt kommt. Mit dem Spielekollektiv Gaia Games – das produziert nachhaltige Brettspiele, bei denen die Spielsteine Pflanzensamen sind und die man komplett kompostieren kann – entwickle ich gerade ein Brettspiel zum Thema Vogelbeobachtung. Dann werde ich wissenschaftlicher Gastdozent und Research-Artist am Museum für Naturkunde in Berlin sein und setze mit diesem viele spannende Projekte in ganz Deutschland um. Und natürlich ist auch ein Album in Arbeit, das im Herbst wieder auf !K7 Records rauskommen wird.

Wie bereits erwähnt bist du Fledermausbotschafter des NABU. Fledermäuse sollen auch die Überträger des Coronavirus sein. Kannst du allgemein etwas zu deren „Funktion“ als Wirt von Viren sagen?

Man vermutet es, noch ist es ja nicht 100 Prozent erwiesen, und es liegt nahe, dass Fledermäuse die Wirte des Virus sind. Was man aber auf jeden Fall sagen kann, ist, dass Fledermäuse äußerst viele Viren und Bakterien mit sich tragen. Für Tollwut sind sie in Deutschland der größte Wirt. Das liegt einfach daran, dass Fledermäuse ein extrem gutes Immunsystem haben und daher nicht an Viren oder Infektionen erkranken. Wenn es dann zu einer Zoonose kommt, also ein Virus vom Tier auf den Menschen überspringt, dann wird es sehr gefährlich, weil unser Immunsystem nicht so resilient ist. Deswegen ist es so wichtig – was Urvölker ja schon immer sagen, dass alles, was gegen die Natur geht, gegen uns geht – der Natur Raum zu geben. Wenn wir zu eng aufeinander leben, dann kann es eben zu solchen Zoonosen kommen. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass das erst der Anfang war, dass sozusagen ein Zeitalter der Zoonosen beginnt. Wir müssen lernen, damit umzugehen, und ich bin ein Freund davon, nicht nur an den Symptomen rumzudoktern, sondern auch Präventionsmethodik zu betreiben. Am einfachsten geht das, indem man der Natur mehr Raum gibt. Der Mensch kann vieles sehr gut, aber nichts tun können wir nicht so gut. Mittlerweile ist man ja schon dabei, etwas umzudenken, das ist das „Gute“ an der Pandemie. Der Mensch versteht es erst, wenn es schmerzt.

Spazierengehen war am Anfang der Pandemie für viele noch sehr spannend und neu, aber mittlerweile … Sag uns, warum Spazierengehen immer noch der heiße Scheiß ist!

Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Spazierengehen langweilig wird, da macht man etwas falsch. Erweitert euren Erfahrungshorizont. Wie schon erwähnt, schnappt euch Lupe und ein Fernglas. Man entdeckt, erfährt mehr und erfährt dadurch Freude. Und Glück ist ein Mosaik aus vielen kleinen Freuden. Versucht, euch eine Artenkenntnis anzueignen, dafür gibt es ja auch mittlerweile fantastische Apps, wie z. B. die Naturblick-App vom Museum für Naturkunde in Berlin, mit der man Vogelstimmen aufnehmen und dann identifizieren lassen kann, welche Vogelart das war. Und natürlich gibt es Identifikations-Apps auch für Pflanzen oder Insekten – wie Insect-ID oder Obsidentify. Geht mit Apps raus, versucht zu erkennen und dann wiederzuerkennen. Und dann ist es ja auch so, dass das Entertainment-System Natur zu jeder Tages- und Jahreszeit durch das ewige Kommen und Gehen neu bestückt wird. Man muss sich nur bewusst mit allen Sinnen auf diese Veränderungen einlassen, dann erfährt man Mikroorgasmen überall.

Aus dem FAZEmag 111/05.2021
Text: Tassilo Dicke
Foto: Natalia Luzenko
www.dominik-eulberg.de
www.eichborn.de