Oriole

(Oriolus oriolus)



Ananda, Loewen, Eulberg

Gabriel Ananda, Maik Loewen und Dominik Eulberg haben nicht viel gemeinsam, außer einer Sven-Väth-Sozialisation, mit der sie den Kölner Sound da anpacken, wo Kompakt sich längst nicht mehr die Finger verbrennen will. Mit produktiver Unzufriedenheit rocken sie Techno wieder ohne Rock.

Der Techno-Feldzug

Wann immer ich anfangen will, über Köln zu reden, fallen mir zunächst mal ein paar Kalauer ein. Die stecken wir aber weg. Köln ist und bleibt eine der Städte, die mehr Producer hervorbringt als fast alle anderen. Köln und Deutschland, ebenso wie Berlin und Deutschland, sind in vielen Teilen der Welt, in denen man seine Weltsicht durch elektronische Musik definiert, Synonyme. Die Adler (oder sind's Geier?) von Kompakt hängen auf Plattentaschen-Schultern von Montreal bis Barcelona, Tokyo bis Helsinki. Aber Kompakt ist nicht alles. Auch wenn man fast mehr als ein Jahrzehnt lang eigentlich nahezu jeden neuen Sound aus der Stadt mit den beiden ramponierten Domspitzen entweder direkt aus der Schmiede des Vierergestirns (Burger, Voigt, Voigt und Paape), später von ihren Zöglingen (Meyer, Thomas, Superpitcher), Angestellten (Sub Static, Trapez) oder einfach nur von den Exklusiv-Labels des Vertriebs erwarten konnte, ist der Kölner Sound schon eine ganze Weile nicht mehr mit Kompakt gleichzusetzen. Und während man in der Werderstraße (vielleicht klingt das in den großen Räumen jetzt einfach auch besser) Trance in Großbuchstaben zu schreiben lernt, ist die eigentliche Domäne, um die die Truppe um Voigt so lange gekämpft hat, schon von anderen mit neuen Inhalten gefüllt. Väth statt Voigt Die besten Technoplatten der letzten Zeit aus Köln kamen für mich von dem Dreigestirn Gabriel Ananda, Maik Loewen und Dominik Eulberg. Grund genug für mich, sie alle zusammen (im Hallmackenreuther) zu treffen und herauszufinden, was diesen neuen Technosound der Stadt eigentlich ausmacht und warum ausgerechnet die drei, deren Sozialisation eigentlich überhaupt nicht über Kompakt läuft, das kulturelle Hauptthema der Stadt für sich erobern konnten. Gemeinsamkeiten haben sie nicht viele, Gabriel ist fast ausschießlich Produzent und produziert über die Regler am Mischpult, Maik noch Student und wie Dominik passionierter Vogelbeobachter, ein Rechnerkind, und sie alle kommen nicht mal aus dem direkten Umland von Köln, genau genommen wohnen sie sogar nicht mal alle da, denn Dominik ist seit ein paar Jahren erst in Bonn. Alle drei haben auf Trapez oder Traum releast, was einen nicht wundern sollte, denn wenn jemand in der Stadt ein offenes Ohr für neue und aufregende Technoacts hat, dann ist das sicherlich Riley Reinhold, bald sind alle drei auch vereint auf Karmarouge. Und wir sind uns sicher, ihr kleiner geheimer Feldzug geht noch weiter. Der wahre Zusammenhalt der drei ist aber, und da geraten sie auch alle ins Schwärmen, Sven Väth. Sven Väths Clubnacht auf HR3 hat ihre Vorstellung von Techno weitaus mehr geprägt als der Kölner Sound (auch wenn zwei von ihnen Profan-Sammler waren). Sie können nicht nur manche Sprüche von alten Tapes der Sendung auswendig, sondern erinnern sich alle zusammen an zahllose Fahrten im Auto, die ohne Sven gar nicht zu überstehen gewesen wären. Wenn sie davon erzählen, verfallen alle nahezu unbemerkt in eine hessische Mundart. Sven schweißt zusammen. Sven gibt einem eine Vorstellung von Techno, die völlig anders ist als die der Kölner Parameter aus Minimalismus, Pop, House und (neuerdings) Trance-Glückseligkeit. Wer mit so etwas groß geworden ist, für den ist nicht immer alles gut, aber es gibt diese herausragenden Momente. Für den ist Techno keine Beständigkeit oder etwas aus einer langen Tradition von deutscher Ingenieurskunst (auch wenn Sven das gelegentlich in Interviews behauptet), keine Frage der verfeinerten Ästhetik, sondern eine Geschichte der Glücksmomente, der Euphorieschübe. Techno ist da keine Wahl, sondern ein Wille. Etwas, das einen umtreibt. Da kann einem schon mal langweilig mit werden, da kann man unzufrieden sein, ein neuer unbequemer Track wird einen schon wieder rausreißen, der Flow wird einen mitreißen, ohne dass man es sich aussuchen könnte, und der nächste Track muss eben alles wieder von vorne erfinden. Ananda und Eulberg (Maik ist da eine Ausnahme, weil er weniger lang als die anderen beiden produziert) sind deshalb auch eigenwillige Wege gegangen. Eulberg hatte einige Releases auf Zyx, Ananda bei Utils und Shot. Nichts, was man in den sonst so oft lupenreinen Diskografien von Minimalproduzenten finden würde, aber dennoch haben sie ihre Releases mittlerweile auf Ware, Raum, My Best Friend, Festplatten, Tonsport, Plong, Platzhirsch usw. verteilt und stehen alle drei an, um den nächsten großen Sprung zu machen. Das Album. Gabriel hat sein Album für Karmarouge fast fertig, Dominiks Album für Traum (mit freundlicher Unterstützung des Bundes für Naturschutz oder so, denn jeder Track, wie so oft bei seinen Stücken, ist einem der Tiere Deutschlands gewidmet, wenn sie nicht obendrein gesampled wurden) steht in den Grundzügen. Es vergeht eigentlich kein Monat, in dem die drei nicht eine Handvoll Platten releasen, die einen wieder an Techno - weit jenseits aller Minimalvorschriften - glauben lassen. Während Maik von Release zu Release dabei präziser und klarer wird und seine Livesets auf Karmarouge.de versprechen, dass er sich noch weiter in den treibenden Wahn kickender Sequenzen verstrickt, die Bassdrums bei Eulberg immer tiefer werden und seine Sounds immer schräger, räumt Gabriel Ananda immer mehr mit ravig euphorisierenden Tracks ab, die den Weg frei machen für eine neue Schule Kölner Acts, denen Vielseitigkeit über alles geht, und die dennoch - während z.B. in Berlin immer mehr Rock (wir geben es zu, auch Eulberg hängt sich schon mal bei seinen DJ-Sets eine Gitarre um, aber eher aus einer Alleinunterhalter-Perspektive), Oldschool oder sonstiges die Runde macht - an eine Art von Techno glauben, die weder still steht noch zurückblickt. Während die Orte, an denen Partys in Köln funktionieren, nicht grade zunehmen, brennen die Platten aus der Stadt mal wieder alles weg. Vielleicht gehört eben das sogar zusammen. Die Attitude, nicht alles vor der eigenen Haustür zu finden, schon gar nicht alles unter einem Haus, sondern mit den eigenen Unzufriedenheiten zu arbeiten, sie produktiv zu machen und daran über sich hinauszuwachsen. Eulberg, Loewen und Ananda stehen für genau diese Tradition Kölns, die lange genug vergessen war, aber jetzt endlich in neuer Frische wieder auferstehen kann, es sei denn, die drei finden sich demnächst lieber an den Weihern der Umgebung zur Vogelschau als hinter ihrem Equipment (ach, selbst wenn ...). Köln jedenfalls rockt ohne Rock Techno wieder zu seiner Heimat und rückt die Nation wieder gerade.

Text von: Sascha Kösch